Die verstärkte Zuwendung Otto Lummers zur Aufklärung der Strahlungsgesetze erfolgte Mitte der neunziger Jahre unter dem Einfluß des dreißigjährigem, aber schon berühmten Wilhelm WIEN (1864-1928), der von 1890-1896 an der Physikalisch-Technische Reichsanstalt (PTR) als Assistent arbeitete sowie von 1892-1896 als Privatdozent an der Berliner Universität, bevor er 1896 einen Ruf als a.o.Professor in Aachen annahm. Wien lehnte strikt eine Trennung von experimenteller und theoretischer Physik ab - er gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den wenigen, die auf beiden Gebieten Experten waren1.
Wien und Lummer ordneten zunächst einmal das verstreut vorliegende experimentelle Material, welches unübersichtlich und schwer zu beurteilen war, da ohne theoretische Leitpunkte gewonnen. Hatte man bis dahin versucht, einen "schwarzen Strahler" durch geeignete Mittel wie Aufrauhen, Berußen oder Oxydieren der Oberflächen natürlicher Festkörper herzustellen, so erkannten sie 18952, daß "idealschwarze" Strahlung - wie Lummer sie nannte - nur bei einer einzigen Strahlung in der Natur realisiert werden kann, nämlich derjenigen in einem gleichmäßig temperierten geschlossenen Hohlraum, mit einer kleinen Öffnung versehen zur Messung dieser "Hohlraumstrahlung".
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Schwarzer Körper mit einer kleinen Öffnung
Nachdem Wien 1896 die PTR verlassen hatte, fiel die weitere Umsetzung des Forschungsschwerpunktes "Schwarzer Körper" Otto Lummer zu. In gemeinsamer Arbeit mit Kurlbaum und besonders mit Ernst PRINGSHEIM (1859-1917) wurden ab 1897 schwarze Strahlungskörper aus verschiedenen Materialien hergestellt, die in einem Temperaturbereich bis 2000 °C eine Prüfung der Strahlungsgesetze ermöglichten.
Versuchsanordnungen und Konstruktionen schwarzer Körper von Lummer zur Überprüfung der Strahlungsgesetze10 11
Zuerst wurde das Stefan-Boltzmannsche Gesetz hinsichtlich der Gesamtstrahlung untersucht - die Messungen von Lummer und Pringsheim 1897 bestätigten seine exakte Gültigkeit im gesamten Temperaturbereich3.
Die Hauptaufgabe, die Messung der Energieverteilung im Spektrum eines schwarzen Körpers, gingen beide im Jahre 1899 an: Zerlegt man die Gesamtstrahlung spektral in kleine Wellenlängenintervalle, so entfällt auf jedes Intervall eine ganz bestimmte, nur von der Wellenlänge selbst und der Temperatur abhängige Strahlungsintensität. Seitens der Theorie hatte W. Wien 1896 eine nach ihm benannte Strahlungsformel mittels spezieller molekularer Hypothesen hergeleitet4, die zunächst mit den Meßergebnissen übereinzustimmen schien. Max Planck leitete das Wiensche Gesetz noch allgemeiner aus den Grundgesetzen von Elektrodynamik und Wärmelehre her5. Diese Wien-Plancksche Theorie galt daher vor der Jahrhundertwende als unumstößlich, da auf den Grundpfeilern des (heute als "klassisch" bezeichneten) physikalischen Weltbildes gegründet.
Auch Lummer und Pringsheim fanden bei ihren ausgedehnten Strahlungsmessungen dieses Gesetz zunächst annähernd bestätigt, konstatierten aber systematische Abweichungen davon, je größer das Produkt aus Wellenlänge und Temperatur wurde6. Als Pringsheim am 19.September 1899 vor der Versammlung Deutscher Naturforscher in München darüber vortrug7, stieß er weitgehend auf Ablehnung, angeführt von Friedrich PASCHEN (1865-1947), bereits als Autorität auf dem Gebiete der Strahlungsmessungen anerkannt, der erklärte, seine eigenen Messungen hätten das Wiensche Gesetz vollständig bestätigt. Max Planck kam nach nochmaliger Überprüfung seiner Theorie sogar zu der Aussage, die Gültigkeitsgrenzen dieses Gesetzes fielen mit denen des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik zusammen, was praktisch dessen Allgemeingültigkeit bedeutete8.
Doch Lummer und Pringsheim ließen sich nicht von ihrem eingeschlagenen Weg einer genauen experimentellen Prüfung der Strahlungstheorie abbringen - die Tugenden des Forschers, welche Lummer schon als junger Doktorand bewiesen hatte, kamen jetzt voll zum Tragen: Da die Abweichungen vom Wienschen Gesetz erst bei großen Wellenlängen und Temperaturen signifikant waren, dehnten sie ihre Messungen in zwei aufeinanderfolgenden Untersuchungsreihen Ende 1899 und Anfang 1900 bis zu IR-Wellenlängen von 18 µm und Temperaturen bis zu 1772 °C aus9, während sie vorher im Spektralbereich von 0,7 bis 6 µm und Temperaturen zwischen 835 und 1416 °C gearbeitet hatten. Entsprechend komplizierter wurde der technische Aufwand für den Strahlungsnachweis bei solch langen Wellen, über den damals nur die PTR in Berlin verfügte.
Strahlungsphysikalisches Laboratorium der PTR: Versuchsanordnung zur Temperaturbestimmung eines schwarzen Körpers durch Messung der Gesamtstrahlung, der Lage des Energiemaximums und der monochromatischen Intensität.10